Fehlzeiten

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Schulungsmaßnahmen zur Reduzierung motivationsbedingter Fehlzeiten
- Trainererfahrungen aus 2 Industriebetrieben -

1.Hintergrund
Aus der Sicht eines firmenunabhängigen Trainers wird über Erfahrungen mit Fehlzeiten-Seminaren in 2 bayerischen Großbetrieben berichtet. Diese Erfahrungen gründen sich auf dreißig 3-tägige Seminare (insgesamt ca. 100 Seminartage) mit ca. 320 Führungskräften - davon etwa 240 aus dem gewerblichen Umfeld (Vorarbeiter und Schichtführer) und 80 aus dem Angestelltenbereich (40 tariflich, 40 AT). Die beiden Betriebe wiesen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt keine überdurchschnittlich hohe Fehlzeitenquote auf, man wollte mit den Schulungsmaßnahmen den allgemeinen Trend stoppen und die Quote gewissermaßen einfrieren.
Die Trainings zielten auf Führungsfähigkeit und Führungsbereitschaft der Teilnehmer in bezug auf eine mögliche Beeinflussung motivationsbedingter Fehlzeiten ab - konkret auf eine Verbesserung des Arbeitsklimas und damit der MA-Motivation sowie eine Steigerung der sozialen und kommunikativen Kompetenz zum Führen von Fehlzeiten-Gesprächen.

2.Trainingsinhalte
Die Inhalte der Trainings wurden in Absprache mit der Personalleitung und der Personalentwicklung konzipiert. Sie wurden als Rahmenprogramm verstanden, das ausreichend Raum lassen sollte für individuelle Zielsetzungen der Teilnehmer.
* FZ-know-how;  betriebsspezifische Daten, Statistiken und Hintergründe; mögliche Gegenmaßnahmen zum FZ-Abbau; FZ-Arten;
* Führungsaufgabe Motivation; mitarbeiterorientierte Führung; Arbeitsklima und Arbeitszufriedenheit; Kommunikation und Kooperation; Fragetechnik; Aktiv Zuhören;
* Aufbau und Ablauf von FZ-Gesprächen; individuelle FZ-Vorgeschichten; Rückkehrgespräche und Betreuungsgespräche; Soziale Kompetenz;
* FZ-Fälle und Erfahrungen aus TN-Praxis; Rollenspiele; Videoaufzeichnung und -analyse; feedback; persönliche Checklisten;
Die Trainings stellten keine kognitive Wissensvermittlung in den Mittelpunkt, sondern aktives Lernen der Teilnehmer mit viel Kleingruppenarbeit und Plenumsdiskussionen, Rollenspiele mit Videoaufzeichnung und -analyse anhand von praxisnahen Fallbeispielen. Die Gruppen arbeiteten mit maximal 12 Teilnehmern um eine möglichst hohe Effizienz und Transferwahrscheinlichkeit zu sichern. Nach 2 Seminartagen folgte im Abstand von etwa 3 Monaten ein sogenannter Vertiefungstag um die Umsetzung in die Praxis zu überprüfen und anhand neuer Beispiele zu vertiefen.

3.Trainingserfahrungen
Bei der Betrachtung des Betriebsklimas zeigte sich in allen Seminaren, wie komplex dieser für Fehlzeiten wesentliche Einflußfaktor ist: vom Kleinklima einer einzelnen Arbeitsgruppe über die Atmoshäre innerhalb einer ganzen Abteilung bis hin zur vielzitierten Unternehmenskultur. "Kränkungen machen krank" wird auf allen Ebenen wirksam: ein Betriebsmeister kann mit seinen Werkern noch so partnerschaftlich umgehen, wenn gleichzeitig das Unternehmen dokumentiert, wie wenig der einzelne Mitarbeiter zählt - oder andersherum: selbst die positivste Unternehmenskultur wird den Krankenstand nicht mindern, wenn der Vorarbeiter seinen Leuten auf der Nachtschicht das Leben zur Hölle macht. Analog zum Watzlawick´schen Interaktionsmodell von Inhalts- und Beziehungsebene werden Kränkungen demnach auf 2 Ebenen wirksam:
auf der Sach- / situativen Ebene:
* Verleihung / Versetzung
* "schwarze Listen" für Entlassungen
* Mangel an Partizipation bei org. Veränderungen
* Mangel an Einfluß auf Management-Entscheidungen
* niedriger Status gg. Angestellten
auf der Beziehungsebene:
* Ignoranz / Nicht-Beachtung durch Vorgesetzte
* viel Kritik / kaum Anerkennung
* Geringschätzung / Verachtung durch Vorgesetzte
* phantasiertes "Herr - Diener" Verhältnis
* Sticheleien / Hänseleien
* Kritik vor Dritten / lächerlich machen

Die Folgen dieser Kränkungen liegen auf der Hand. Die volkstümliche Formulierung "die Arbeit geht mir auf den Geist" ist demnach nicht als Ausdruck einer mangelhaften Arbeitsmoral bzw. -einstellung zu sehen - obschon das für viele Vorgesetzte natürlich sehr bequem ist -, sondern als ganz natürliche Reaktion auf obige Kränkungen, gegen die sich die Mitarbeiter mit Krankheit wehren.
Natürlich werden diese Kränkungen nicht bewußt, gewissermaßen mit voller Absicht "von oben" provoziert. Sie sind meist eine Folge von Gedankenlosigkeit, Unwissenheit über motivationale Strukturen oder auch eigenen Streßsituationen. Häufig genug aber sind sie Ausdruck von mangelndem Führungsverständnis und unbedachtem Führungsverhalten. Auch das soll wiederum an der methodischen Trennung von Inhalts- und Beziehungsebene deutlich gemacht werden, wobei hier ein IST-SOLL Vergleich weiterhilft:

IST  auf der Inhalts/Sachebene
 -Laschheit/Nachgiebigkeit:
- man kann nichts ändern
- MA machen, was sie wollen
- werden schon noch sehen
- MA sind einfach faul

IST auf der Beziehungsebene
- Härte/Dominanz:
- MA haben nichts zu sagen
- sollen arbeiten,nicht denken
- MA haben zu gehorchen
- ich bin wichtiger als die MA

SOLL auf der Inhaltsebene
 -Konsequenz/Deutlichkeit:
- Fehlzeiten-Gespräche
- mögliche Folgen aufzeigen
- bei Mißbrauch handeln
- evtl. Arbeitsrecht einsetzen

SOLL auf der Beziehungsebene
-Partnerschaft/Kooperation
- einbinden in Verantwortung
- Vertrauen aufbauen
- notwendige Partizipation
- "wichtig sein" vermitteln

 Die im Zusammenhang mit Führungsverhalten so häufig gebrauchten Verhaltensmaxime von "Härte zeigen" und "Nachgiebig sein" werden demnach einfach falsch eingesetzt. Zu fordern ist sowohl partnerschaftliches und kooperatives Verhalten als auch Konsequenz in der Sache. Dies gilt vor allem für das Führen von Fehlzeitengesprächen. Sogenannte Rückkehrgespräche nach jeder (auch eintägigen) Krankheit und Betreuungsgespräche mit häufig und/oder langfristig kranken Mitarbeitern müssen deutlich machen, daß sich der Betrieb auf der einen Seite um seine Mitarbeiter kümmert, daß er aber auf der anderen Seite bei offensichtlichem oder vermutetem Mißbrauch auch Konsequenzen aufzeigt. Die für diese Gespräche notwendige kommunikative Kompetenz fehlt den Führungskräften weitgehend - und zwar völlig unabhängig von Hierarchieebenen.

4.Seminarergebnisse und Forderung
Die Beeinflussung von Fehlzeiten ist Führungsaufgabe. Sie ist genauso "Job" einer jeden Führungskraft wie Planen, Koordinieren, Delegieren, Motivieren etc. Motivationsbedingte Fehlzeiten auf ein Minimum zu reduzieren heißt, den Anteil an Personalführung innerhalb der eigenen Aufgabenstellung ernst und sich dafür auch Zeit zu nehmen. Natürlich ist das oft problemintensiver und weniger "spaßig", als am PC eine herrliche Computergrafik für die Geschäftsleitung zu erstellen. Doch dafür werden Führungskräfte nicht bezahlt. Sie sollten in der Lage sein, so etwas zu delegieren und sich ihren eigentlich wichtigen Aufgaben zu widmen, nämlich effektive MA-Teams zu formen, für eine optimale Arbeitsumgebung zu sorgen sowie Freude und Erfüllung in der Arbeit zu vermitteln. Motivationsbedingte Fehlzeiten kann man reduzieren und zwar:

 1. vor der Abwesenheit
- kooperative Führung
- Wertschätzung, "sich kümmern"
- Zeit für Gespräche
- Anerkennung, Wichtigkeit vermitteln
- Gefühl geben, gebraucht zu werden
- MA einbinden in Entscheidungen
- Arbeitsplatz nach Eignung und Neigung
- Job-rotation, Job-enrichment
- Erfolgserlebnisse vermitteln / Sinn der Tätigkeit
- Verbesserung der Arbeitsbedingungen

 2. während der Abwesenheit
- Kontakt halten (Karte, Anruf "wie gehts, was können wir tun?")
- Gefühl des "gebraucht-werden" vermitteln ("wir suchen ... best. Unterlagen?", "Kannst Du ... einen Tip geben ...?")

 3. nach der Abwesenheit
- Rückkehrgespräche immer (auch bei eintägiger Abwesenheit) (was passiert, wenn nicht ...?)
- Betreuungsgespräche bei häufiger und/oder längerer Krankheit  nach betriebsbedingten Ursachen, Arbeitsbedingungen o.Ä. fragen
 (auf MA-Wunsch mit Betriebsrat)

5.Diskussion
Wo soll diese Beeinflussung durch die Führungskräfte überhaupt ansetzen? Sollen mit entsprechendem Führungsverhalten, kommunikativen Tricks und informellen Erpressungsversuchen auch Mitarbeiter an den Arbeitsplatz gelockt werden, die aus ärztlicher Sicht besser ins Bett gehören? Sollen sich Mitarbeiter mit einer fiebrigen Grippe oder nach einem Skiunfall mit Unterschenkelfraktur in Zukunft aus lauter Zuneigung zu ihrem Vorgesetzten ins Büro schleppen? Natürlich nicht. Die Beeinflussung von Fehlzeiten setzt an anderen Faktoren an. Die folgende Grafik, die nicht auf empirischen Daten basiert, sondern auf vielen Gesprächen mit Vorgesetzten und Mitarbeitern, dient als Hypothese:

Typologie unterschiedlicher Fehlzeiten-Arten: Nach dieser Darstellung teilen sich z.B. 9 Prozent Fehlzeiten wie folgt:

1 Drittel (33%) organisch bedingte, "echte" Fehlzeiten
 - akute Krankheiten
 - chronische Krankheiten
 - Krankheitsfolgen
 - Bettlägrigkeit oder stationäre Behandlung
 - Verletzungs- oder Unfallfolgen

1 Drittel (33%) psychisch bedingte, "gemachte" Fehlzeiten (der Preis für hohe Produktivität und Effektivität?)
 - Streßfolgen, Nervosität
 - Nicht-Bewältigung der Dauerbelastung und -beanspruchung
 - Unsicherheit, Angst, "ich schaffe es nicht"
 - Kopfschmerzen als Folge von Zeit- und Termindruck
 - Krankheit als Flucht vor der Verantwortung

1 Drittel (33%) motivationsbedingte, "unechte" Fehlzeiten (der Preis für ent-menschlichte, technokratische Arbeitsstrukturen?)
 - ge-kränkte Mitarbeiter werden krank
 - "ich bin nicht so wichtig für den Betrieb"
 - "die Vorgesetzten nehmen mich nicht ernst"
 - Identifikation mit Freizeit statt mit anonymen Arbeitsstrukturen
 - mangelndes Unrechtsbewußtsein ("meine Grippe steht mir zu")
 - Krankfeiern als Macht- und Druckmittel

Wenn diese - wie gesagt hypothetische - Einschätzung vom Ansatz her richtig ist, so scheint klar zu sein, wo die Beeinflussung von Betrieb und Führungskräften ansetzen muß: nicht bei den echten Krankheiten, sondern bei den "gemachten", psychisch bedingten und den "unechten", motivationsbedingten Fehlzeiten. Es müssen Organisationsstrukturen und Arbeitsbedingungen entwickelt und realisiert werden, die es den Mitarbeitern ermöglichen streßfrei, d.h. gemäß ihrer psychischen Kondition ihrer Tätigkeit nachzugehen. Und es muß vom Verhalten der Führungskräfte und der Firmenleitung sichergestellt werden, daß jeder einzelne Mitarbeiter ernst genommen wird, daß die Mitarbeit jedes einzelnen zählt und wichtig ist, daß sich um jeden Kollegen gekümmert wird, daß die Arbeitsgruppe sich Sorgen macht, wenn jemand krank ist und darauf wartet, daß er wieder an seinem Platz ist. Wenn diese Forderungen realisiert sind - und das ist in einem Großunternehmen natürlich schwieriger als in einem Handwerksbetrieb - wird der seit Jahrzehnten zu beobachtende Trend der Fehlzeiten nach oben gestoppt werden können und der einzelne Mensch im Betrieb wieder gesünder werden.

 

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update: 21. Februar 2012