Flaschenpost 1/1991
Bernhardt & Galsterer - Weinabonnements
Clemensstraße 40 - 8000 München 40 - Tel.: 300 92 08
1987 er Chateau Chasse-Spleen
Appellation Moulis-en-Médoc Controlée
Gironde, Frankreich
Vielleicht liegt es daran, daß mich (H. G.) vor Jahren ein
wirklich "Großer" Bordeaux zum Weinfreak gemacht hat und der Genuß
dieser Flasche für mich eine Art Schlüsselerlebnis darstellte. Jedenfalls
verbinde ich seither (trotz aller hervorragenden Italiener, extravaganten
Kalifornier und mehr oder weniger spannenden Exoten) mit dem Begriff
"Großer Wein" einen roten Medoc. Hinzu kommt, daß ich - was Wein
betrifft - ein ausgesprochener Traditionalist bin und das Gebiet der Gironde, in
dem bereits seit dem 17. Jahrhundert professionell Wein angebaut wird, d.h.
nicht nur für den Hausgebrauch, als die Weinregion schlechthin betrachte.
Stichwort: Bordeaux:
"Das Bordelais wird zu Recht als das spektakulärste Weinbaugebiet der Welt
bezeichnet, als die Geburtsstätte der besten Rotweine überhaupt. Das Weinland
Bordeaux ist das größte und bedeutendste Anbaugebiet für Qualitätsweine in
Frankreich. Knapp hunderttausend Hektar sind mit Rebstöcken bepflanzt - etwa so
viel wie in allen 11 deutschen Anbaugebieten zusammengenommen; (...) Das
gemäßigte, wenn auch warme Klima im Sommer sorgt dafür, daß die Trauben gut
heranreifen, ohne, daß sie durch gewaltsame Frühreife mit Verlust an Aroma und
Säure gefährdet wären. Die Weine bleiben elegant, sie werden nie breit - wie
in manchen südlichen Anbaugebieten. Optimal sind auch die Bodenverhältnisse.
Da sind einmal die wertvollen Kieselböden, die den Weinstock zu
außergewöhnlichen Leistungen zwingen. Die Reben müssen ihre Wurzeln oft
mehrere Meter tief durch die trockenen, gut durchlüfteten, aber armen
Kiesschichten treiben (...) Nur wenn der Rebstock leidet, wenn seine
Widerstandskraft bis zum äußersten belastet wird, heißt eine alte Regel in
Bordeaux, liefert er Weine von höchster Qualität. (...) Die zweifellos beste
Rebsorte ist der Cabernet-Sauvignon, der vor allem die kieshaltigen Böden
liebt. Der Ertrag ist zwar niedrig, aber die Qualität genügt allerhöchsten
Qualitätsansprüchen. Die Rebsorte gibt dem Wein Rückhalt, Kraft, Tannin und
Finesse, sie macht ihn vornehm und langlebig."
Quelle: H.Dohm: Flaschenpost aus Bordeaux
Spätestens an dieser Stelle wird sich mancher Abonnent
fragen: "Warum, verdammt noch mal, habt Ihr uns diese Tropfen bislang
vorenthalten?" Der Grund dafür (natürlich wieder mal!) ist der Preis,
bzw. unser oberes Preislimit für die Monatsweine.
Denn bei all meiner Begeisterung für diese Weine - wenn mich ein Interessent
fragt, welchen guten Wein ich ihm für maximal 15 Mark empfehle, so komme ich
nie auf einen Bordeaux. Denn das, was diese Weine auszeichnet - geruch- und
geschmackliche Vielfalt, Länge, Tiefe und Eleganz - ist nicht für 15 Mark zu
haben. Da ist er in jedem Fall mit einem Rioja oder einem Barbaresco besser
bedient. Natürlich gibt es in Supermärkten Bordeaux zu kaufen für 7,95 DM,
aber das sind nicht die Weine, die das Spezifische dieser großartigen
Weinregion deutlich machen. Deshalb: Ein Tip für Bordeaux-Einsteiger und ihren
privaten Einkauf: Je weniger Sie auf dem Weinetikett das Wort
"Bordeaux" finden, desto besser. Das Geheimnis dieser Verwirrung liegt
in der Klassifikation AOC (Appellation d´Origine Controlée) begründet:
Mit AC Bordeaux werden die großen Mengen der Durchschnittsweine
belegt (häufig auf dem Etikett noch mit Phantasiezusätzen aufgemotzt, die mit
dem Städtenamen Bordeaux hausieren gehen); die AC Médoc bzw. Haut-Médoc ist
in aller Regel den höherwertigen Weinen aus einem eng umgrenzten Gebiet am
westlichen Ufer der Gironde vorbehalten und z.B. ein AC St.Estèphe oder ein AC
Margaux verspricht einen zumeist großen Wein. Je begrenzter also die
garantierte Ursprungsbezeichnung, desto hochwertiger das Produkt Wein.
Natürlich gibt es, wie überall, Ausnahmen; im Bordelais aber weniger als
anderswo.
Kurze Angabe (im Sinne von Angeben): auf keinem der Etiketten
der 5 "Premier Grand Cru Classées" - Margaux, Lafite, Latour, Mouton,
Haut-Brion - finden Sie auch nur einmal die Bezeichnung Bordeaux. Wo Pauillac,
Margaux oder Moulis liegen, das weiß man einfach. Falls nicht - wir werden das
üben. Erste Lektion: Moulis-en-Médoc. Eine der 6 Gemeindeappellationen des
berühmtesten Weinbaugebietes der Welt. Liegt zwischen den Appellationen Listrac
und Margaux. Berühmte Chateaus: Poujeaux und Chasse-Spleen.
Stichwort: Chateaux Chasse-Spleen [1]
"Nach allgemeiner Überzeugung ist Chasse-Spleen das Flaggschiff von
Moulis, und Bernadette Villars, die seit 1976 für die Weine verantwortlich ist,
hat den Vorteil, zugleich in Pauillac und Margaux Wein zu erzeugen. Die Breite
der Perspektive kommt zweifellos den Weinen von Chasse-Spleen zugute, die heute
zu den besten der 1855 nicht klassifizierten Gewächse im Médoc gehören."
Quelle: H.Dippel: Die großen Bordeaux Weine
Was die berühmt-berüchtigte Klassifikation der Médocs von
1855 angeht - sie bleibt der Bordeaux-Lektion 127 (Flaschenpost 3/2034)
vorbehalten. Fest steht, daß nach heutiger Qualitätsbeurteilung viele der
sogenannten Cru Bourgeois, der "bürgerlichen" Gewächse, den adeligen
Cru Classées den Rang streitig machen. Und fest steht weiterhin, daß Chateau
Chasse-Spleen der Star unter den Cru Bourgeois ist, und das seit Jahren.
Stichwort: Chateau Chasse-Spleen [2]
"Die beliebte Frage nach der Neuordnung der Klassifizierung unter den Crus
des Médoc entlockt der tüchtigen Verwalterin des Chateaus, Bernadette Villars,
den Wunsch, lieber Erster der Cru Bourgeois als Dreißigster der Cru Classées
zu sein. Während ersteres sich aufdrängt, wäre letzteres untertrieben. Denn
die ehrgeizige, sympathische Geschäftsführerin des Chateaus bereitet Jahr für
Jahr erlesene Weine. Mme. Villars ist vielseitig. Sie besitzt eine
Unterrichtslizenz für Geschichte und Geographie, hat sich mit
Unternehmensführung befaßt, studierte Önologie bei Professor Emile Peynaud.
Peynaud berät sie heute noch, sei es bei der Selektion der Weine oder bei der
Festlegung des Neufaßanteils."
Quelle: ALLES ÜBER WEIN, 2/1987
Wir verfolgen Chateau Chasse-Spleen seit jetzt 7 Jahrgängen.
Er war für uns immer der Wein, der es möglich gemacht hat, bei noch
vertretbarem finanziellen Einsatz einen wirklich guten Bordeaux zu trinken.
Jüngster Kontakt: ein Bericht über eine Blindverkostung von 39 Bordeaux´s des
Jahrgangs 1987 im Feinschmecker-Journal. Dritter Sieger: Chasse-Spleen 87. Womit
wir beim Jahrgang 1987 wären. Denn eines wollen wir nicht verschweigen: wir
hätten die großartigen Gewächse des Bordelais den Abonnenten wohl auch
weiterhin vorenthalten (müssen), wenn, ja wenn es den Jahrgang 1987 nicht
gegeben hätte (denn für einen Chasse-Spleen 85, 86 oder auch 88 müssen Sie
heute stolze *** DM hinblättern).
Stichwort: Jahrgang 1987
"Zur verregneten Blüte im Juni kam wolkenbruchartiger Regen während der
Lese, gnadenlos vom Beginn bis zum Ende. Wasser verdünnt den Wein, der
Säuregehalt sinkt, der Wein hat nur eine geringe Lebenserwartung - zum
alsbaldigen Verbrauch bestimmt. Das prophezeiten die Experten dem 1987er.
Damit war er als kleiner Wein abqualifiziert - wohl etwas zu voreilig. (...) Der
größere Teil der Kandidaten beeindruckte die Jury auf das angenehmste:
Gaumenschmeichler, die das Warten auf die Ausnahme-Jahrgänge wie den 82er oder
den großartigen 86er kurzweilig werden lassen.
Quelle: Der Feinschmecker, 1/1991, S.100
Wir hatten den Chasse-Spleen im Frühjahr 1988 in Subskription
gekauft, als die obigen Expertenurteile noch für einen entsprechenden
Preisverfall sorgten. Wir hatten nämlich gehofft, daß die guten Chateaus (wie
z.B. Chasse-Spleen) durch rigorose Selektion des Lesegutes und entsprechend
sorgfältige Vinifikation auch den 87er zu einem echten Bordeaux machen.
Hinweise hatten uns damals schon die ersten Notizen in den Fachzeitschriften
über Faßverkostungen des Jahrgangs geliefert. Spezialisten und Weinlehrlinge
jetzt genau mitlesen, es gibt wieder was zu lachen:
Stichwort: Faßverkostung Chasse-Spleen 87
"Intensives, dunkles, leuchtendes Purpur; in der Nase sehr verhalten, Tiefe
angetönt, Feiner Holzton; im Gaumen mittelgewichtig, sehr gut strukturiert,
Röstaromen von neuem Holz, recht komplex; lang. Sehr schöner Wein mit Tiefe.
17/20 Punkte."
Quelle: VINUM, 6/1988
Mit dieser Punktbewertung stand Chasse-Spleen damals auf einer
Stufe mit so renommierten Gewächsen wie Lynch-Bages (5e Cru Classé),
Ducru-Beaucaillou (2e Cru Classé), Talbot (4e Cru Classé) und sogar - man
staune - Chateau Latour (1er Cru Classé; ein Wein, für den in guten Jahren
über 150 DM verlangt und bezahlt wird). Alles deutete darauf hin: das war die
Chance, einen wirklich excellenten Bordeaux für das Weinabonnement zu bekommen.
Und wir haben uns nicht geirrt. Der 87er ist ein für das Bordelais sehr
typischer, eher leichter Wein, trotzdem mit viel Kraft und Struktur, mit
ausgewogenen Tanninen und großer Finesse.
Wer den Keller nicht gerade voll hat mit Bordelaiser Gewächsen von 61 bis 78,
für den ist der Jahrgang 1987 die Gelegenheit jetzt einen großen Bordeaux zu
trinken. Was Sie nicht tun sollten: ihn für Ihre Enkelkinder aufheben. Was Sie
nicht tun können: Nachbestellen - wir haben zu wenig davon. Worum wir Sie
bitten: uns sagen, wie er Ihnen geschmeckt hat.
Übrigens: Die Geschichtsschreiber sind sich wieder mal nicht
einig, wem der Name des Chateaus zugeschrieben wird. Einmal finden sich Verweise
auf Oscar Wilde (Sie kennen seinen Spruch: "Ich habe einen ganz einfachen
Geschmack; von allem das Beste!), einmal auf den englischen Romanciér Lord
Byron. Einer von beiden (vielleicht auch beide) soll von dem Wein so angetan
gewesen sein, daß er ihn Chasse-Spleen, "Vertreiber der Schwermut",
genannt hat. Keine Angst: wir verkaufen ihn auch an ausgesprochene Frohnaturen.